06.10.2021 00:00 Uhr

Shrinking Spaces

Schrumpfende Räume für die Zivilgesellschaft

Hier könnt ihr unsere Broschüre "Shrinking Spaces - Schrumpfende Räume für die Zivilgesellschaft" lesen und herunterladen.

Das Vorwort (Auszug aus der Broschüre)

Liebe Leser*innen,

die vorliegende Broschüre widmet sich dem Phänomen schrumpfender Räume der Zivilgesellschaft, das unter dem Begriff Shrinking Spaces nicht nur in der Wissenschaft Beachtung findet. Während Shrinking Spaces vor 2010 vor allem im globalen Süden als Problem manifest wurden, ist eine Einengung der Handlungsräume zivilgesellschaftlicher Organisationen in den letzten Jahren auch in den Demokratien Europas zu beobachten. Neben den mittlerweile dafür bekannten Ländern Polen und Ungarn sind auch (und nicht nur) in Deutschland schwierigere Zeiten für die Zivilgesellschaft angebrochen.

Beispielhaft seien hier die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac Deutschland und VVN-BdA oder die Kontroverse um ein Demokratiefördergesetz genannt. Auch Angriffe durch Rechtspopulist*innen, die u.a. über den Hebel des Neutralitätsgebots die Zivilgesellschaft an die Kandare nehmen wollen, schränken die Spielräume zivilgesellschaftlichen Handelns ein.

Unklare Förder- und Finanzierungsbedingungen erschweren die Planungssicherheit zivilgesellschaftlicher Organisationen, engen damit ihre Handlungsfähigkeit ein und verschärfen die Situation zusätzlich. Der Stadtjugendring Potsdam e.V. und der mitMachen e.V. haben in den Jahren 2020/21 eine Veranstaltungsreihe zu Shrinking Spaces mit insgesamt sechs Online-Diskussionen zu sechs Themenschwerpunkten durchgeführt. Wir bedanken uns bei AndersARTiG e.V. und Lambda Szczecin, die eine der Veranstaltungen maßgeblich mitgestaltet haben. Mit der Veranstaltungsreihe wollten wir für die Thematik sensibilisieren und das Phänomen Shrinking Spaces bekannter machen. 

Viele Vereine und Initiativen haben Erfahrungen mit Shrinking Spaces gemacht, ohne dies so benennen zu können. Das klare Herausstellen des gesellschaftlichen Zusammenhangs sowie der Wirklogiken hilft, das Phänomen besser zu verstehen und entsprechende Strategien zu identifizieren. Dies geschieht nicht zuletzt deshalb, um die Erfahrungen nicht zu vereinzeln und gemeinsam Gegenstrategien entwickeln zu können.

Während der Veranstaltungen wurde die Aktualität, Brisanz und Verbreitung des Phänomens nochmals deutlich. Wir müssen etwas tun und uns vernetzen. Denn eine liberale Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Aus unserer Sicht geht es nicht nur darum, die Räume zu verteidigen, sondern auch zu erweitern. Dazu braucht es die gegenseitige Unterstützung von Vereinen und Initiativen, eine für das Thema sensibilisierte und resiliente Verwaltung sowie eine Politik, die die Zivilgesellschaft als berechtigte Interessenvertretung und nicht als Konkurrenz begreift.

Zu den Beiträgen: Zum Auftakt führt Siri Hummel (Maecenata Institut) in die Thematik der Shrinking Spaces ein. Anschließend liegt der Schwerpunkt auf der Jugendarbeit. Sylvia Swierkowski (Stadtjugendring Potsdam e.V.) legt dar, warum die Aneignung von öffentlichen Räumen durch Jugendliche wichtig ist und entsprechende Räume zur Verfügung stehen müssen. Nils Schuhmacher (Uni Hamburg) hat im Rahmen eines Forschungsprojektes politische Interventionen im Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit untersucht und diskutiert deren Effekte für die demokratische und emanzipatorische Praxis. Jana Sämann (Naturfreundejugend Bremen) erörtert die Delegitimationsstrategien gegen (kritische) Jugendarbeit und zeigt auf, was dies für Jugendarbeit und Zivilgesellschaft bedeutet. Schließlich positioniert sich das Demokratische Zentrum Ludwigsburg (DemoZ), dem 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, für eine gelebte politische Bildung mit Haltung. Daraufhin weitet sich der Blick auf die Zivilgesellschaft als Ganzes. Frauke Büttner und Maica Vierkant (Aktionsbündnis Brandenburg) berichten darüber, wie Rechtspopulist*innen das Neutralitätsgebot und parlamentarische Mittel missbrauchen, um die Zivilgesellschaft zu schwächen. Annett Mängel (Blätter für deutsche und internationale Politik) zeigt anhand ausgewählter Beispiele die Notwendigkeit der Verstetigung von Projektförderung durch ein Demokratiefördergesetz auf, woran sich Carsten Herzberg (mitMachen e.V.) anschließt und erörtert, warum Brandenburg ein eigenes Demokratiefördergesetz braucht. Annika Schmidt-Ehry (Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V.) nimmt schließlich die Aspekte des Gemeinnützigkeitsrechts unter die Lupe, die Handlungsspielräume von Zivilgesellschaft einengen können. Welche dramatische Entwicklung die Einschränkung der Zivilgesellschaft nicht weit von hier nehmen kann, wird an den Beispielen Ungarns und Polens deutlich. Piotr Kocyba (TU Chemnitz) und Márton Gerő (Institute for Sociology, Centre for Social Sciences, Budapest) betrachten die Situation in Ungarn und zeichnen nach, wie die Räume der Zivilgesellschaft dort immer enger wurden. Monika Pacyfka Tichy (Lambda Szczecin) berichtet schließlich, mit welchen Bedrohungen die LGBTQI-Community in Polen umzugehen hat. Ihre Erfahrungen belegen auf erschreckende Weise, unter welchen Druck die Zivilgesellschaft gerät, die sich für eine offene und plurale Gesellschaft einsetzt.

Die Beiträge der Broschüre stehen für sich und gleichsam zusammen für eine starke Zivilgesellschaft und eine Demokratie jenseits des Streichelzoos.

Stephanie Pigorsch, Dr. Carsten Herzberg, Martin Bubner, Kay-Uwe Kärsten, Julia Schultheisse